Das „Internet of Things“ (IoT) wird derzeit als die nächste Disruption für Industrie und Wirtschaft gehandelt. Das Potenzial liegt vor allem darin, bisher analog oder sogar manuell durchgeführte Prozesse zu digitalisieren und automatisieren. Der Einsatz maschineller Lernsysteme und künstlicher Intelligenz (KI) beschleunigt diese Entwicklung zusätzlich. Immer weniger Unternehmen können sich ihr entziehen, ohne Wettbewerbsnachteile befürchten zu müssen.
Doch zunächst: Was verstehen wir in technologischer Hinsicht unter dem Begriff „IoT“? Die „Dinge“ im „Internet of Things“ sind meistens nichts anderes als Mikrocontroller, die mit Sensoren beziehungsweise Aktuatoren ausgestattet wurden. Diese sind mit einem Netzwerk verbunden und können darüber Informationen senden oder empfangen. Zu finden sind solche Systeme bereits heute, unter anderem in Industrieanlagen („Industrie 4.0“), Maschinen oder Automatisierungslösungen für Wohnhäuser.
Für die Industrie ermöglicht die Überwachung und Steuerung durch das IoT einen Effizienzgewinn. Darüber hinaus lassen sich in Kombination mit KI-Lösungen drohende Störungen frühzeitig erkennen und abwenden. Dies wird auch mit dem Begriff „Predictive Maintenance“ bezeichnet. Damit lassen sich ungeplante Ausfälle vermeiden, da eine zielgenaue geplante Wartung zum richtigen Zeitpunkt erfolgen kann. Den Endkonsumenten hingegen bieten „smarte“ Geräte interessante Komfortfunktionen, die ihnen den Alltag erleichtern.
Die Liste der Einsatzmöglichkeiten ließe sich beliebig fortsetzen, denn die mögliche Anwendungsszenarien für IoT sind so zahlreich wie unsere Herausforderungen im Privat- oder Berufsleben. Damit die Geräte so orchestriert werden können, dass sie ihren Zweck erfüllen, braucht es eine sogenannte IoT-Plattform. Im Folgenden lesen Sie, was es damit genau auf sich hat.
IoT-Plattformen sind die zentrale Komponente im Technologie-Stack für das IoT. Sie stellen die Middleware, also das Bindeglied, zwischen den Geräten und den Softwareapplikationen dar. Sie werden auch als „IoT Application Enablement Platforms“ (AEP) bezeichnet, was ihre wichtige Rolle im IoT-Ökosystem unterstreicht. In ihrer grundlegenden Funktion ermöglicht eine IoT-Plattform Konnektivität; sie stellt also sicher, dass die Geräte im System miteinander verbunden sind und Informationen dorthin gelangen, wo sie verarbeitet werden sollen.
Viele IoT-Plattformen beinhalten auch noch zusätzliche Dienste, die im Rahmen der Gesamtlösung nützlich sind. Dazu gehören zum Beispiel Geräte-Management, Datenaufbewahrung, Verarbeitungsregeln, oder auch Datenanalyse und -visualisierung. Idealerweise werden dabei unterschiedlichste Geräte und Protokolle unterstützt sowie entsprechend abstrahiert.
Die gängigen Plattformen lassen sich in zwei Segmente aufteilen: Einerseits Komplettlösungen und andererseits Spezialisierungen, die auf einzelne Aspekte fokussiert sind. Im letzteren Fall stellt sich allerdings die Frage, inwiefern die Bezeichnung „Plattform“ noch berechtigt ist – schließlich hat eine Plattform per definitionem die generalistische Funktion, Spezialsysteme zusammenzuführen. Es sei jedoch betont, dass es bisher noch keine einheitliche Definition gibt, obwohl der Markt für IoT-Plattformen sehr groß und divers ist. So listen die Marktforscher von „IoT Analytics“ zuletzt über über 600 IoT-Plattformen auf – Tendenz steigend.
Gerade deshalb ist es bei der Auswahl einer für den jeweiligen Anwendungsfall passenden Plattform wichtig, mit einem strukturierten Ansatz und fest definierten Kriterien vorzugehen. Dabei gilt zu beachten, dass IoT-Plattformen sich nicht nur anhand ihrer funktionalen Aspekte unterscheiden, sondern auch anhand strategischer. Gerade diese sollten in der Frühphase einer geplanten Einführung genau beleuchtet werden, um dann das Angebot mit dem passenden Funktionsumfang zu finden. Zu den strategischen Aspekten gehören vor allem die folgenden:
Flexibilität und Anpassbarkeit – In einem dynamischen und vielseitigen Bereich wie IoT ist es wichtig, flexibel auf neue Anforderungen und veränderte technische Gegebenheiten reagieren zu können. Die Unterstützung offener Standards verbessert die Kompatibilität und reduziert zudem das Risiko eines Vendor-Lock-Ins, oder schwächt dieses zumindest ab.
Skalierbarkeit und Verfügbarkeit – Im Cloud-Umfeld gilt dies als Selbstverständlichkeit, doch insbesondere bei selbst-gehosteten Lösungen muss die Skalierbarkeit unbedingt Berücksichtigung finden. Wo anfangs nur mit wenigen Geräten und geringen Datenmengen zu rechnen ist, können bei einer positiven Geschäftsentwicklung schnell sehr viel höhere Kapazitäten benötigt werden. Außerdem ist es elementar, eine hohe Verfügbarkeit und ausreichende Redundanzen herzustellen, damit die Plattform nicht Gefahr läuft, zum „Single-Point-of-Failure“ zu werden. Die Geräte selbst müssen in vielen Szenarien nicht dauerhaft in Betrieb und online sein. Entsprechende Service-Level-Agreements (SLAs) mit den beteiligten Ausrüstern und Dienstleistern sollten die erforderliche Plattform-Verfügbarkeit vertraglich garantieren.
Sicherheit – Wer kennt nicht die gruseligen Geschichten von gekaperten smarten Toastern, die im Verbund Kraftwerke attackieren? Leider sind sie wahr. Eine IoT-Plattform sollte deshalb etablierte Mechanismen zur Absicherung der Geräte bereitstellen und idealerweise auch Updates der Firmware, des Betriebssystems und der Geschäftsanwendung mit möglichst geringem Aufwand ermöglichen.
Deployment – Während manche IoT-Plattformen vollständig in einer Public Cloud als Platform-as-a-Service (Paas) angeboten werden, lassen sich andere Lösungen in der eigenen privaten Cloud oder einem traditionellen Rechenzentrum betreiben. Gerade regulatorische Vorgaben können hier eine Auswahlmöglichkeit bereits vorwegnehmen. Whitelabeling erlaubt es, eigenen Kunden eine IoT-Plattform bereitzustellen, ohne das zugrundeliegende Produkt offenzulegen.
Größe der Entwicklerfirma bzw. des Entwicklungsteams – Diesem Kriterium liegt die Annahme zugrunde, dass es ein größeres Unternehmen eher schafft, ein Produkt langfristig am Markt zu halten und dass es eher dazu in der Lage ist, langfristig eine hohe Professionalität und Qualität zu garantieren. Selbstverständlich finden sich hierzu auch Gegenbeispiele, weshalb Größe nicht das alleinige Entscheidungskriterium sein sollte. Bei Open Source Software sollte nicht zuletzt auch die Größe und Aktivität der Entwickler-Community herangezogen werden. Zudem ist darauf zu achten, dass ein Projekt nicht nur von wenigen Hauptentwicklern abhängt, sodass eine gewisse Verlässlichkeit sichergestellt ist.
Popularität und Verbreitung – Beliebte und verbreitete Projekte werden sicherlich auch in den nächsten Jahren existieren. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und eines Wachstums des Ökosystems, also weitere Anbindungen, Third-Party-Produkte und -Support. Früh auf eine beliebte Lösung zu setzen, kann sich also langfristig auszahlen.
Kosten – Flexible nutzungsabhängige Bezahlmodelle und niedrige Fixkosten ermöglichen es auch ohne große Kosten im Voraus, eigene Projekte umzusetzen. Bedacht werden sollten dabei allerdings auch Zusatzkosten für erweiterte Features und Support, insbesondere auch in Anbetracht etwaiger Vendor-Lock-Ins.
Supportmodell – Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal sind Qualität und Kosten für Support. Gibt es etwa nur ein offenes, womöglich Community-getriebenes, Support-Forum oder dedizierte Ansprechpartner über ein Ticket-System? Oftmals ist ein Teil des Supports bereits inklusive.
Synergien – Ein in der Praxis sicherlich ebenfalls relevanter Aspekt sind Synergieeffekte. Wer etwa von einem IoT-Anbieter bereits andere Produkte nutzt, muss weniger neues Wissen aufbauen. Dabei lassen sich auch organisatorische Hürden, wie etwa Sicherheits- oder Budgetfreigaben, mit weniger Aufwand überwinden.
Die oben genannten Aspekte helfen während der Konzeptionsphase dabei, nach dem Ausschlussprinzip die Anzahl der in Frage kommenden Anbieter zu verringern. Die Entscheidung, welcher am besten zur geplanten Lösung passt, hängt dann von der Priorisierung des ausschlaggebenden Aspekts ab. Zu beachten ist, dass für die Anpassung der IoT-Plattform auf den gewünschten Anwendungsfall noch zusätzlicher Entwicklungsaufwand anfällt, der durch externe Beratung aufgefangen werden kann.
Der zweite Teil dieser Artikelserie zum Thema „IoT-Plattformen“ wird eine Auswahl von Anbietern vorstellen, die unsere Experten im Zuge einer strukturierten Marktevaluation als derzeit führend identifiziert haben.